Folgende Situation: Ihr kommt lässig in euer Stammrestaurant, blättert in der vielfältigen Speisekarte herum und entscheidet euch für ein echtes Wiener Schnitzel. Ein schönes, dünnes Stück Kalbfleisch. Mit einer in viel Butter gebräunten, goldgelben Panade, die bereits Blasen schlägt. Dazu Preiselbeeren und Tiroler Erdäpfelsalat. Lecker! Und jetzt die schlechte Nachricht, die zunächst wie eine gute klingt: Schnitzel gibt’s ab jetzt andauernd.
Am nächsten Wochenende geht ihr nämlich wieder in euer Stammrestaurant. An diesem Abend habt ihr Lust auf Fisch, auf Wild-Lachs mit Kräutermantel oder Backfisch mit Remoulade oder kross gebratenen Zander. Das Wasser läuft euch im Mund zusammen und tropft fast auf die Karte, aber in der ist nicht ein Fischgericht zu finden. Kein einziges. Letzte Woche waren die doch noch da!? Jetzt sind nur noch Schnitzelgerichte gelistet. Schnitzel, Schnitzel, Schnitzel, sonst nichts.
Fast schon schade, dass Vegetarier und Veganer mit dieser Entwicklung nichts zu tun haben. Dann hätte man wenigstens eine gesellschaftliche Gruppe zum Bashen und Haten. Tatsächlich aber hat euer Stammwirt ein Gastro-Netzwerk bemüht und die Vorlieben der Gäste definiert. Der Computer im wirren Wirtskopf hat deshalb folglich entschieden, dass ihr der Schnitzeltyp seid und ab heute nur noch Schnitzel bekommt. Ihr schimpft, ihr zetert, ihr droht mit roher Gewalt, aber der Mann bleibt unerbittlich. Ihr seid ein Schnitzeltyp, also bestellt gefälligst ein Schnitzel!
Hirnwäsche 4.0
Unvorstellbar? Genau das passiert jeden Tag! Man setzt uns Musik vor, von der man glaubt, dass sie uns gefällt, weil wir irgendwann mal etwas halbwegs Ähnliches gehört haben. Man zeigt uns Mode von der man glaubt, dass sie uns gefällt, weil wir irgendwann mal etwas halbwegs Ähnliches gekauft haben – obwohl die XXL-Bluse mit dem floralen Muster ein Weihnachtsgeschenk für Tante Hilde war. Weil man glaubt, wir seien der richtige Abnehmer, zeigt man uns Schuhe, Filme, Serien, Essen, Autos, Kosmetik, Spiele, Technik und sogar Urlaubsorte, Sexspielzeug und Medikamente. Und jede Menge Schnitzel-Paradiese, aber eben nicht ein Fisch-Restaurant.
Nicht einmal heimlich, aber still und leise findet so quasi eine Entwöhnung vom Außergewöhnlichen statt, von Dingen, die anders, spannend, neu und aufregend sind. Höchste Effizienz und perfekte algorithmische Muster sind aber nicht die Antwort auf unsere Fragen, nicht das Allheilmittel für unsere Wirtschaft, sondern führen zu Gleichmacherei und Egalität. Ganze Branchen haben sich auf diese Weise selbst in eine existenzielle Zwickmühle analysiert – sie scheuen jeden Versuch, wagen keinerlei Experimente, meiden das geringste Risiko, unterbinden dadurch Ideen und Kreativität und verengen so das eigene Spektrum, bis sie sich irgendwann vor lauter Effizienz selbst erlegt und erledigt haben.
Einigen Konsumenten, auch mir, ist das längst aufgefallen. Die angeblich Kreativen haben das aber offenbar noch nicht verstanden. Erst in jüngster Vergangenheit wurde ich wochenlang von einer Armbanduhr verfolgt, die ich mir anlässlich des Geburtstags meines Vaters nur mal kurz angesehen und als Geschenk in Betracht gezogen hatte. Ich selber hasse Armbanduhren wie die Pest. Um meinem Protest Ausdruck zu verleihen, habe ich dann gestern eine ganze Reihe von Accounts gelöscht, Abos gekündigt und im Garten meine PayBack-Karte verbrannt. Nicht einfach so, sondern um Mitternacht im Rahmen einer Voodoo-Zeremonie mit Fackelkreis und mystischer Musik. Fisch kaufe ich jetzt auf dem Markt. Eine Pfanne habe ich auch. Ist ja nicht so, dass man nichts tun könnte gegen diese Algorithmus-Schnitzel. Läuft bei mir.
Frag die Hundesöhne gerne zu diesem Artikel. Dann musst Du aber auch mit der Antwort leben können!
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